Die Zeitschrift Science ist neben dem britischen Pendant Nature eine der beiden renommiertesten Wissenschaftszeitschriften der Welt. Man könnte daher annehmen, dass ein solches Magazin eine Diskussionskultur befürworte – dass also die Redaktion eine dezidiert debattenfreundliche Haltung einnehmen würde. Schließlich ist die Diskussion als solche ein wesentlicher Bestandteil des wissenschaftlichen Prozesses. Wissenschaftler veröffentlichen ihre Arbeiten, andere Wissenschaftler entdecken Lücken darin, und mit der Zeit kommt man der Wahrheit näher.
Wären die Menschen vollkommen rationale Wesen wie Spock aus Star Trek, wäre die Debatte wohl nicht so wichtig. Doch freilich sind wir nicht so veranlagt. Wir leiden unter Anpassungsdruck und Konformismus. Wir lassen uns von unwichtigen Umständen beeinflussen wie etwa dem Wunsch nach Anerkennung durch unseresgleichen und dem Wunsch, die Belege für etwas mögen mit unseren politischen Ansichten übereinstimmen. Deshalb ist die Möglichkeit zur gegenseitigen Prüfung unserer Arbeit so wichtig, um in der Folge Differenzen ausräumen zu können.
Laut der Zeitschrift Science jedoch ist Debattenkultur anscheinend nicht immer gut.
Am 21. Juni veröffentlichte die Zeitschrift einen Meinungsartikel mit dem Titel „Mit Personen, die Gaslighting betreiben, sollte es keinen wissenschaftlichen Diskurs geben“. Hintergrund ist die kürzliche Ankündigung Joe Rogans, 100.000 Dollar für wohltätige Zwecke zu spenden, wenn „Prof. Peter Hotez MD PhD“ (wie er sich auf Twitter nennt) einer Debatte mit Robert F. Kennedy Jr. „in meiner Show ohne Zeitlimit“ zustimmt. Dies geschah als Reaktion Rogans auf eine Beschuldigung von Hotez‘ Seite, er habe in seiner Podcast-Diskussion mit RFK „Fehlinformationen“ verbreitet.
„Dieser Ansatz wirft zwei große Probleme auf“, schreibt Holden Thorp, Autor jenes Science-Texts. „Erstens stellt er RFKs Müll auf eine Stufe mit Prinzipien, die durch Jahrhunderte der Wissenschaft etabliert wurden. Zweitens entspricht der Wissenschaftler für den naiven Zuhörer dem Stereotyp eines pingeligen Nerd, wohingegen RFK wie ein starker Kommunikator wirkt“.
In Bezug auf RFK schreibt Thorp, dass „die meisten Wissenschaftler nicht bereit seien, sich mit dessen geballter Ladung Unsinn auseinanderzusetzen“ und dass „die wissenschaftliche Gemeinschaft dringend ebenso fähige Experten zur Verteidigung der Wissenschaft brauche“. (Er schlägt hierbei „den politischen Kommentator Jon Stewart“ als einen möglichen Kandidaten vor.)
Ich bin hiervon nicht überzeugt. Meiner Meinung nach sollte Hotez die Debatte annehmen. Nicht weil ich glaube, dass RFK Recht hat: Ich habe mir seine Diskussion mit Rogan nicht angehört, und einige der Dinge, die er sagte, klangen ziemlich lächerlich (z. B. „WiFi-Strahlung öffnet die Blut-Hirn-Schranke, so dass all die Giftstoffe aus dem Körper ins Gehirn gelangen können“).
Es liegt einfach daran, dass öffentliche Debatten sehr informativ sein können. Wenn man dagegen zwei Menschen unabhängig voneinander ihre Argumente vortragen hört, ist das fast immer weniger informativ als wenn man ihnen bei einer Debatte zusieht.
Warum? Weil man bei einer Debatte sein Bestes geben muss. Man ist gezwungen, auf die stärksten Argumente der Gegenseite einzugehen und die stärksten Gegenargumente zu den eigenen Argumenten zu widerlegen. Geht man gar nicht in die Diskussion, wird es möglich, Argumente stärker erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sind. So kann es passieren, dass Ihr Publikum nachher überzeugter ist, als es eigentlich sein sollte.
Thorp würde sicherlich widersprechen, öffentliche Debatten seien doch schlicht „rhetorische Wettkämpfe“, bei denen die sachlich korrektere Seite nur eine geringe oder gar keine Chance gegen die rhetorisch begabtere Seite hätte. Dies entspricht jedoch nicht meiner Erfahrung. Selbst wenn er Recht damit haben sollte, dass „rhetorische Fähigkeiten“ in öffentlichen Debatten eine übergroße Rolle spielen, möchte ich behaupten, dass „nicht herausgefordert zu werden“ eben dann eine übergroße Rolle spielt, wenn nicht debattiert wird.
Davon abgesehen ist Thorps Artikel selbst voll rhetorischer Spitzfindigkeiten! So etwa prangert er RFK als „Impfgegner-Scharlatan und Störkandidaten für die Präsidentschaft“ an. Rogans Angebot bezeichnet er als „klassische Anti-Wissenschafts-Masche“. Weiterhin beharrt er darauf, dass „Profitmacher wie RFK Jr. sich darauf verstehen, Unmengen Müll abzulassen“.
Wie dem auch sei, viele Leute sind daran interessiert, was RFK zu sagen hat. Sollte Thorp diese tatsächlich davon überzeugen wollen, dass RFK im Unrecht ist, sollte er Rogans Angebot eigentlich begrüßen. Niemand, der nicht ohnehin schon auf Thorps Seite ist, wird sich von dessen herablassendem und rhetorisch überladenen Artikel überzeugen lassen.
Quelle: dailysceptic.org
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